Christian G. Knabe, Bild und Text
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München, den 30. Juli 2010
Pressemitteilung: Contergan, Demonstration am 7. August 2010 von 11 bis 13 Uhr am Münchner Stachus
mit Aktion 5000 Postkarten für 5000 Opfer“ und einer Performance.
Am Samstag den 07. August 2010 werden sich Münchner Conterganopfer am Münchner Stachus versammeln um für eine gerechte
Entschädigung zu protestieren. Dabei werden 5000 Postkarten verteilt. Jede Karte steht für ein Opfer. Auf der Karte ist der Umriss
eines Menschen zu sehen, wie ihn die Polizei bei einem Unfall oder Mord auf den Boden zeichnet. Arme und Beine sind
durchgestrichen, um die Wirkung von Contergan symbolisch darzustellen.
Dazu werden sich zwei Conterganopfer in einer Performance grün geschminkt öffentlich zur Schau stellen (Fotomotiv!).
Die Passanten sollen sehen, was das Schlafmittel angestellt hat. Damit soll auch auf den Film
Nobody`s Perfect über 12 Conterganopfer hingewiesen werden, der am 10. August 2010
um 22:45 Uhr in der ARD zu sehen sein wird.
Regisseur Niko von Glasow, selbst Conterganopfer zeigt 12 Conterganopfer (inklusive ihm selbst) die sich für einen Kalender
fotografieren lassen wollen. Sie haben es allesamt satt, sich zu verstecken. Seine Versuche, sich mit Vertretern der Grünenthal GmbH
zu treffen scheitern allerdings. Dies gelang erst einem anderen Betroffenen, nach dem dieser in der ARD-Sendung Hart Aber Fair“
am 7. November 2007 Sebastian Wirtz zu einer Tasse Kaffee eingeladen hatte.
Hintergrund:
Contergan war ein Schlafmittel, das Ende der 50`iger Anfang der 60`iger Jahre in Deutschland vertrieben wurde. Erfinder war die
Aachener Firma Chemie Grünenthal“. Alleine in Deutschland wurden 5000 Embryonen durch das Mittel geschädigt. Etwa die Hälfte
davon starb kurz nach der Geburt. Heute leben etwa 2700 Conterganopfer in Deutschland. Sie sind an den Armen, den Beinen,
den Ohren und den inneren Organen geschädigt.
Es gab einen Strafprozess in dem der Firmengründer und die verantwortlichen Mitarbeiter wegen Geringfügigkeit“ freigesprochen wurden.
5000 Opfer endsprechen immerhin der Einwohnerzahl einer Kleinstadt, also geringfügig“ kann man das beim besten Willen nicht nennen!
Die Firma zahlte freiwillig 100 Millionen DM. Die Bundesrepublik ihrerseits gab ebenfalls 100 Millionen DM, die jedoch bis vor kurzem
nicht den Opfern zu Gute kamen. Weil man glaubte, die damaligen Kinder würden nicht lange leben, erhielten sie nur eine kleine monatliche
Rente. Diese wurde 2008 verdoppelt, was aber bei weitem noch nicht reicht. Eine weiter Spende der Grünenthal in Höhe von 50 Millionen
ist bei 2800 lebenden Opfern (inklusive jener Ausländer, die von der deutschen Stiftung entschädigt werden) nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Heute leiden die Conterganopfer unter Folgeschäden auf Grund der jahrzehntelangen Überlastung. Obwohl man früher behauptet hatte,
sie seien impotent und steril, haben viele von ihnen Kinder, die sie unter größten Mühen – oft als Alleinerziehende großgezogen haben.
Viele der Betroffenen konnten zwar einen Beruf lernen oder studieren, sind aber arbeitslos beziehungsweise arbeitsunfähig.
Geschichte von Contergan (Thalidomid):
Wie es zur Contergantragödie kommen konnte, ist bis heute ein Tummelfeld für Spekulanten und Verschwörungstheoretiker. Es lassen sich aber einige Tatsachen festhalten. Der Forschungsleiter der Chemie Grünenthal Dr. Heinrich Mückter hat während des Krieges im
heutigen Polen einen Fleckfieberimpfstoff an KZ-Häftlingen getestet. Es ging darum herauszufinden, ob eine Produktionscharge
in Ordnung war. Dafür wurden Häftlinge zuerst geimpft und dann infiziert. Wurden sie krank und starben, so war der Impfstoff schlecht.
Mückter soll so bis zu 250 Menschen getötet haben. Er wurde nach dem Krieg von Polen als Kriegsverbrecher gesucht.
Otto Ambros war in den Nürnberger Prozessen zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt, kam aber nach drei Jahren wieder frei und verdingte
sich sofort als Berater der Chemie Grünenthal. Er hatte während der Nazizeit unter anderem für die IG-Farben das Buna-Werk in
Ausschwitz gebaut. Vorher hatte er die Massenproduktion von Zyklon B organisiert. Das Giftgas, das für die Massenvernichtung der Juden
verwendet wurde, wurde zuerst an behinderten Menschen im Rahmen der Eugenik auf seine Verwendbarkeit erprobt.
Es ist müßig, darüber nachzudenken, welche Rolle alleine diese beiden Personen bei Tragödie spielten. Tatsache ist, dass schon
die schweren und relativ häufigen Nebenwirkungen bei Erwachsenen ignoriert wurden. Statt das Mittel vom Markt zu nehmen und so
die Zahl von Schadensersatzprozessen zu verringern, schickte man einen Detektiv los, der kritische Ärzte bestechen sollte,
beziehungsweise der Material gegen sie sammeln sollte, um sie zu diskreditieren.
Es schien noch nicht einmal zu genügen, als der Kinderarzt Widukind Lenz mit einem Vater eines Opfers, dem Rechtsanwalt Schulte-Hillen
in der Tür stand, und auf den Zusammenhang zwischen dem Wirkstoff von Contergan Thalidomid“ und den tausenden missgebildeten
Kinder hinwies. Es musste erst ein Artikel in der Welt“ erscheinen, damit man das Mittel vom Markt nahm. Damals war das Vertrauen in
Wissenschaftler noch sehr groß und man hatte Mückter und seinem Team anscheinend blind vertraut. Er selbst hat Forschungsunterlagen
vor der Markteinführung vernichtet.
Aber auch Deutschlands Ärzte- und Forschungselite hatte versagt. So wurden die verkrüppelten Kinder in Bayern von der
Haunerschen Kinderklinik in München zentral erfasst und untersucht. Niemand fragte die Mütter, welche Medikamente sie
während der Schwangerschaft genommen hatten. In den USA wurde Thalidomid nicht zugelassen, weil der Nachweis fehlte,
dass es die Plazenta nicht durchschlug. Man wusste also, dass Medikamente den Embryo schädigen können. Aber man
behauptete später, dies sei damals nicht bekannt gewesen.
Warum die Conterganopfer endlich gerecht entschädigt werden wollen:
Wer sich um seine altersdementen Eltern kümmern muss, der weiß, wie Behinderungen und Einschränkungen manchmal
wegdefiniert werden. Bei Conterganopfern ist das sogar schlimmer. Gerade die verkrüppelten Arme sind selten und führen
immer wieder dazu, dass notwendige Hilfen verweigert werden. Sie können das ja“, oder ach, sie sind ja soo selbständig“,
bekommen sie zu hören, bevor ihr Antrag abgelehnt wird. Die Folgen sind verheerend: Folgeschäden, Arbeitsunfähigkeit,
Hilflosigkeit.
#Die 2008 erfolgte Verdopplung der Renten, die 50-Millionen-Spende der Grünenthal und die nach 30 Jahren längst überfällige
Umwidmung jener 50 Millionen Euro der Bundesregierung, die sich in der Stiftung befanden, zu Gunsten der Opfer schaffen
keine Abhilfe. Und es kommt noch ein menschliches und moralisches Problem hinzu: Die Menschen haben oft Kinder oder / und
Partner. Man hat sie jahrzehntelang auf die Sozialhilfe und heute Hartz4 verwiesen. Das bedeutet aber, dass ein Partner
ebenfalls sein Einkommen und Vermögen offenlegen muss. Ein Partner oder eine Partnerin müsste sogar private Geschenke
der Behörde angeben, da diese mit den Sozialleistungen verrechnet werden.
Dass kommt einem Heiratsverbot gleich!
Da kommt einem schnell die Idee der Rassenhygiene im Dritten Reich in den Sinn und die Bemerkung, dass die Conterganopfer
tatsächlich gesunde“ Kinder in die Welt gesetzt haben, aber noch in den 70`iger Jahren haben sich katholische Pfarrer geweigert,
behinderte Menschen zu trauen. Man muss auch wissen, dass die frühere Sozialhilfe sogar die Eltern eines Partners oder einer
Partnerin zum Unterhalt verpflichtet hätte – eine Art Sippenhaftung für eine Behinderung, über die man auf jeden Fall sagen kann,
dass die Betroffenen am wenigsten dafür können!
Zurzeit kostet die Conterganrente etwa 37 Millionen pro Jahr. Die Bezüge der Bundestagsangeordneten zusammen mit ihrer
Aufwandsentschädigung kosten den Steuerzahler 120 Millionen pro Jahr. Auch konnte es sich der Staat leisten, 4,5 Milliarden
als Abwrackprämie“ zu verschenken, damit sich die Bürger ein neues Auto kaufen konnten.
Deshalb demonstrieren Mitglieder des Münchner Conterganstammtisches für eine gerechte Entschädigung,
die unabhängig von staatlichen Sozialleistungen macht.