Lebens(un)wert
29.12.06, 19:38:37
highnoon
Lebens(un)wert
„Das Leben ist das höchste Gut“,
ist mehr als eine philosophische Aussage.
Aber es gibt Philosophen
(fast möchte ich sagen: selbsternannte),
die sich anmaßen, Leben einzuteilen:
sie meinen, einige Leben seien lebensunwert.
Menschen, die in diese Kategorie fallen,
dürfen ihrer Meinung nach
nach der Geburt sterben gelassen werden,
weil sie nicht genügend Glück erleben können;
gemeint sind Menschen mit einer Behinderung.
Menschen wie der, der diese Zeilen schrieb.
Woher wissen diese Philosophen,
welcher Mensch wieviel Glück zu empfinden vermag?
Wie wollen sie überhaupt Glück definieren?
Und was ist schließlich eine Behinderung?
Fragen über Fragen.
Menschen zeichnen sich dadurch aus, denken zu können.
Sie bilden Staaten, um ihre Gesellschaften zu organisieren.
Es gibt Stärkere und Schwächere.
Um die Schwächeren zu schützen, wurde die Solidarität erfunden.
Das Recht des Stärkeren wurde außer Kraft gesetzt,
Menschlichkeit soll die menschliche Gesellschaft auszeichnen.
Auch wer schwach ist und Hilfe braucht,
soll ein Recht auf Glück haben:
Und er erlebt es!
Wer einem Menschen das Recht absprechen will,
auf die Welt zu kommen und dort zu leben,
weil er meint, dieser Mensch könne nichts zum Bruttosozialprodukt beitragen
(das ist der wahre Hintergrund),
der stellt selbst sein Menschsein in Frage!
Wer mich außerhalb der Gesellschaft stellen will,
der stellt sich selbst dorthin!
Ich möchte unter menschlichen Menschen leben
und nicht unter philosophischen Tieren!
Quelle:
Bernd Masmeier
10.01.07, 11:45:27
SingleRose
Liebe ForenteilnehmerInnen,
ich möchte diesen Text von Herrn Masmeier nicht unkommentiert hier im Raum stehen lassen. Dazu ist er mir zu wichtig.
Zur besseren Verständigung:
Mit "den" (selbsternannten) Philosophen meint Herr Masmeier jene, die Anhänger des Utilitarismus sind. Bekanntester Vertreter (jedoch nicht der "Erfinder") in der heutigen Zeit ist Peter Singer.
Mit eine Aufgabe der Philosophie ist es, Weisheit zu erlangen und das, was die Gesellschaft bewegt zu reflektieren. Dazu muß man sich alles was es gibt und alles was geschieht genau ansehen und bis ins kleinste zerpflücken. Der Tellerrand darf nicht die Grenze sein, nicht einmal die Weiten des Universums.
Ich denke es ist unbestritten, dass der Mensch ein Teil der Natur ist. Er gehört der Kategorie "Säugetier" an. In der Natur ist es üblich, dass eine Selektion stattfindet. Das Gesetz des Stärkeren gilt.
Nun unterscheidet den Menschen jedoch einige wesentliche Fähigkeiten von dem Rest der Säugetiere. Der Mensch ist nämlich z.B. dazu fähig, zu reflektieren, kreativ zu denken. Dieser Unterschied ermöglicht dem Menschen, "aktives" und "passives" Überleben zu sichern. Er besitzt aber auch die Macht, Leben auszulöschen.
Geht nun ein Philosoph hin und denkt "laut" über das nach, was in der Natur natürlich ist, so hat das für mich eine gewisse Logik. Es liegt nun an mir, meinen Standpunkt dazu zu erarbeiten. Hierfür muß ich mich, wie auch der Philosoph, mit dem Thema auseinander setzen. Auch für mich darf die Grenze dabei nicht der Tellerrand sein, wenn ich gute Gründe FÜR meine Sicht der Dinge finden möchte. Ich muß dabei aber auch akzeptieren, dass "meine" Gründe eben "nur" meine sind und für andere nicht gültig sein müssen. Das gilt im Übrigen auch für den Philosophen.
So.
Im Utilitarismus wird u.a. darüber nachgedacht, welches Menschliche Leben es wert ist, als lebenswert definiert zu werden und welches Leben es nicht wert ist. Ich möchte jetzt weniger in die Diskussion einsteigen, die in diesem Kontext geführt wird sondern versuchen aufzuzeigen, wie diese Gesellschaft mit dem Thema umgeht.
Wir leben in einer Gesellschaft, die Abtreibung und die Spätabtreibung ermöglicht.
Wir leben in einer Gesellschaft die darüber diskutiert, den Freitod zu ermöglichen oder haben diesen (je nach Nation) sogar schon legalisiert.
Wir leben in einer Gesellschaft in der die finanzielle Investition zur Genesung eines Menschen abgewogen wird mit dem Nutzen, den diese Gesellschaft nach der Genesung durch diesen Menschen noch haben wird.
Mit welchem Recht? Wenn es ein Recht dazu gibt, warum ist es dann so verwerflich was die Utilitaristen denken und aussprechen? Entsetzen wir uns da nicht nur über das Spiegelbild, das uns da vorgehalten wird?
Ich halte es für einen gefährlichen Fehler zu sagen: Mit "solchen" Leuten (Utilitaristen) setze ich mich nicht auseinander. Der Utilitarismus ist in sehr vielen Menschen vorhanden. Oder kennt ihr etwa keine Menschen die schon einmal laut gefragt haben: "Muß diese Quälerei denn sein?" wenn ein anderer Mensch sehr schwer erkrankt ist? Darin liegt für mich der Anfang des ganzen!
Für mich persönlich kann ich im Kontext lebens(un)wertes Leben sagen:
Ich will menschliches Leben achten, beschützen, behüten, begleiten und umsorgen. Ganz gleich wie dieses Leben aussieht. Dafür will ich mich auch einsetzen, weil ich Mensch es mir wert bin.
Single Rose
@-->---
10.01.07, 11:56:32
HeadSwitch
Bloß kein Pflegefall.
Ein Drittel wäre lieber tot.........................
http://www.n-tv.de/751610.html
Gruß
HeadSwitch
10.01.07, 14:36:22
Schippche
Eben :shock:.
Ich persönlich wollte lieber in Würde sterben und zwar
wann und wie ich es will, als würdelos dahinzuvegetieren, von Maschinen und desillusioniertem, überlastetem Pflegepersonal abhängig, deren "Fürsorge" darin besteht, mich mit Drogen ruhigzustellen. Im Magen womöglich eine Sonde, damit die Nahrungsaufnahme schneller geht. Mit Pampers versehen, nicht weil ich inkontinent bin, sondern weil der Toilettengang zu zeitaufwändig wäre.
Ich möchte es weder selbstgerechten Lebensschützern noch Verwandten erlauben, über mein Leben und Sterben zu bestimmen, damit sie sich selbst überhöhen und heilig sprechen oder mich aber auch loswerden können! Je nachdem wie die Motive sind. *tztz* Keine Kontrolle mehr über sich selbst zu haben, stelle ich mir als schlimmstmögliches Szenario vor. Mit welchem Recht wollen mich selbsternannte Ethiker dazu zwingen, qualvoll dahinzusiechen anstelle friedlich einzuschlafen?
Ich hoffe, daß ich beizeit noch in der Lage bin entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Und wenn ich dazu in ein Land gehen müsste, das den Freitod legalisiert hat und sich auch von religiösen Fanatikern nicht beirren läßt.
Angela
10.01.07, 15:33:16
HeadSwitch
Hi Angela,
das ist auch für mich nur zu verständlich.
Eines bleibt einem dann aber wohl verwehrt:
Die "christliche/kirchliche Beisetzung".
Für mich ist/wäre das aber kein Problem bzw. Hinderungsgrund... ;)
Gruß
HeadSwitch
10.01.07, 20:42:36
SingleRose
Demnach ist das folgende ja auch völlig ok!?
In einem Zitat (Nr. 7 des nachfolgenden Links) aus Peter Singers Buch "Praktische Ethik"
http://www.uni-heidelberg.de/institute/fak5/igm/g47/bauersin.htm
heißt es:
"Zitat 7:
Man mag immer noch einwenden, daß es unrecht sei, einen [geschädigten] Fötus oder ein [geschädigtes] Neugeborenes [durch einen gesunden Fötus bzw. durch ein gesundes Neugeborenes] zu ersetzen, weil dadurch heute lebenden Behinderten suggeriert wird, ihr Leben sei weniger lebenswert als das Leben derer, die nicht behindert sind. Wer leugnet, daß dies im Durchschnitt gesehen so ist, verkennt die Realität. Nur so geben Handlungen, die wir alle für selbstverständlich halten, einen Sinn. Man erinnere sich an den Contergan-Fall: Von Schwangeren eingenommen, war dieses Mittel die Ursache dafür, daß viele Kinder ohne Arme oder Beine geboren wurden. Als die Ursache für diese anormalen Geburten erkannt war, wurde das Mittel vom Markt genommen, und die verantwortliche Firma mußte Schadenersatz leisten. Wären wir wirklich der Überzeugung, daß es keinen Grund gibt anzunehmen, daß das Leben einer behinderten Person wahrscheinlich irgendwie schlechter ist als das einer normalen Person, dann hätten wir das damals nicht als Tragödie empfunden. Schadenersatz wäre weder gefordert noch von den Gerichten verhängt worden. Die Kinder wären eben bloß "anders" gewesen.
(S.241)"
Single Rose
@-->---
10.01.07, 20:49:53
HeadSwitch
Demnach ist das folgende ja auch völlig ok!?
Wem nach? / Nach was?
Gruß
HeadSwitch
10.01.07, 23:52:09
SingleRose
Demnach ist das folgende ja auch völlig ok!?
Wem nach? / Nach was?
Gruß
HeadSwitch
Im Sinne von Ethik.
Welche vertrittst Du/Ihr?
Jene, die das eigene Leben in "unseren" Fällen erlaubt in Frage zustellen oder jene, die auch ein "anderes" Leben ermöglicht.
Single Rose
@-->---
11.01.07, 00:13:37
highnoon
Hi Schippche,
Keine Kontrolle mehr über sich selbst zu haben, stelle ich mir als schlimmstmögliches Szenario vor. Mit welchem Recht wollen mich selbsternannte Ethiker dazu zwingen, qualvoll dahinzusiechen anstelle friedlich einzuschlafen?
Ich empfinde es als ungemein belastend und unverschämt, Kontrolle über mein Leben ergreifen zu müssen, zu dem ich nie befragt worden bin.
Ich wurde in dieses Leben geworfen ohne meine Zustimmung - es wurde über meinen Zustand auch nicht ein einziges Wort verloren.
In den ersten Jahren hatte ich keinerlei Kontrolle über mich - ich war abhängig von anderen Menschen - warum eigentlich?
Ich wundere mich immer wieder, dass es Zeiten gab, in denen ich Kontrolle über mich hatte ........ das war zu Beginn und zum Ende nicht so ......... Danke für die Zeit dazwischen.
11.01.07, 10:47:20
Schippche
Hallo,
für mich kann ich rechtzeitig dafür Sorge tragen, unter welchen Umständen lebenserhaltende Maßnahmen getroffen werden sollen und welche nicht. Ich möchte auch den Freitod wählen dürfen. Was ich mir wünsche, ist, dass das respektiert wird, mehr nicht. Und da jeder Mensch seine Situation anders empfindet, würde ich niemals jemand anderem das Recht auf positives Leben absprechen, egal wie pflegebedürftig jemand ist. Aber wo bitte ist die Situation in vielen Pflegeheimen
zur Zeit positiv für den Pflegebedürftigen? Wenn ich sage, daß so was nicht lebenswert ist, ist es eine Frechheit zu unterstellen, ich oder andere würden das Leben dieser Personen als lebensunwert einstufen!! Ich meine immer nur die Situation, niemals die Person an sich. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?
Mann-o-Mann! Nur in diesem Forum wird einem das Wort im Mund so herumgedreht.:confused:
Angela