26.06.11, 21:57:26
Diandra
Carla fährt einmal im Jahr zu einer Veranstaltung ihres Ortsverbandes. Dort trifft sie auf andere Menschen mit verschiedenen Behinderungen.
Viele sind ohne Arme, mit kurzen Armen oder nicht ganz normal langen Armen.
Einige sitzen im Rollstuhl. Manche ohne Beine, manche ohne Beine mit normalen Armen, aber defekten Daumen, einige sogar ohne Arme und Beine.
Richtig befreundet ist man nicht. Man sieht sich zu selten, jeder hat seinen Alltag, man wohnt zu weit auseinander und die halbherzigen Versuche, miteinander in Kontakt zu bleiben schlafen im Laufe der Monate ein. Man hat sich einfach nicht viel zu sagen. Man ist auch ein wenig bedrückt. So richtige herzliche Stimmung kommt selten auf. Man ist sich nicht "grün".
Selbst dann nicht, wenn sich Gespräche über den Schädiger all der Behinderungsarten in diesem Ortsverband drehen.
Manche haben resigniert.
Manche beissen wild um sich.
Manche schauen erschrocken.
Manche fühlen sich berufen zu missionieren.
Carla ist irritiert. Da gibt es Karl. Munter stapft er auf beiden Beinen durchs Leben, lächelt hier, lächelt da, erzählt großspurig, dass er kaum Hilfe braucht. Er erzählt von tollen Urlauben, von vielen guten Gesprächspartnern; er erzählt von traumhaften Wohnungen im Dachgeschoss mit Dachterasse; er erzählt von Bergen, Seilbahnen, von Motorradtouren, von warmen weißen nassen Sand zwischen seinen Zehen, von Palmen und Meer. Bilder hat er auch immer bei sich. Man muss ja alles dokumentieren - sonst glauben sie nicht.
Er sagt: Alles ist machbar, man muss es nur wollen.
Er sagt: Das was ich nicht kann, dass ist eben so. Damit muss und kann ich leben.
Er sagt: Du bist Deines Glückes Schmied.
Er sagt: Lächle und Du bekommst ein Lächeln zurück.
Er sagt: Was wir brauchen, das kriegen wir auch.
Carla macht dazu eine Bemerkung. Erzählt, was sie eben nicht kann. Und was ihr so widerfährt mit dem Pflegedienst. Und das sie die Nase davon voll hat sich nicht wenigstens ein paar Taxifahrten in die Stadt leisten zu können.
Karl fährt dazwischen. Sagt ihr, dass sie sich hängen lässt, dass sie sich zu oft abweisen lässt, dass sie ja Rechte hat. Und es gibt den E-Rolli. Damit kommt man in die Stadt - man muss nur wollen. Der E-Rolli steht Dir zu. Karl weiß alles und tönt damit auch immer laut rum.
Carla hat einen E-Rollstuhl. Sie mag ihn nicht. Er ist klobig und zu groß. Damit kommt man nicht in jedes Geschäft, in kein Taxi und der Radius ist nicht besonders groß, denn sonst ist die Batterie leer und man steht hilflos rum. Die Technik hat oft eine Macke. Oft muss man Leute bitten, Hilfe zu holen.
Zimmerrollstuhl mit Motor kann auch nur die allerletzte Alternative sein. Er hilft einem zwar beweglich zu sein, aber er nimmt einem die Muskelkraft. Man bewegt sich zu wenig, die Muskeln werden weniger und weniger und irgendwann hängt man wie ein nasser Sack im Rollstuhl und kann nur noch eine Hand bewegen.
Glaubt Karl wirklich, dass das auf Dauer hilfreich und gut ist ??
Carla erwidert zaghaft, dass es ja einen Schädiger gibt. Und das der gefälligst dafür sorgen soll, dass Carla sich einen PKW leisten kann, die Benzinkosten, die Versicherungen, die Taxifahrten, die im großen Stab geplanten Urlaube mit teueren Rolli-Fahrer-extra-Zimmer.
Karl sagt: Das geht auch ohne. Mit ein paar Abstrichen kriegst Du das auch hin - Du musst nur wollen.
Carla meint, die Abstriche vermiesen ihr den Urlaub. Das lässt Karl aber nicht gelten. Karl weiß alles - Karl tönt wieder laut rum.
Karl glaubt, dass Carla nur neidisch ist. Und das Carla Gelder bewilligt haben will, die ihr nicht zustehen. Jedenfalls nicht in der Höhe. Das ist nicht gerecht sagt er.
Carla fragt warum das nicht gerecht ist. Karl überhört Carlas Frage und erzählt munter weiter.
Carla schaut fragend in die Runde.
Manche meiden Carlas Blick.
Manche schauen betreten.
Manche schütteln den Kopf.
Manche schauen herausfordernd.
Manche schauen arrogant auf sie herab.
Hilfe hat sie nicht zu erwarten.
Niemand, der Karl widerspricht.
Niemand, der Karl in seine Schranken verweist.
Niemand, der Karl mal ordentlich schüttelt.
Da sitzen sie, 2 Gruppen in einer. Rollstuhlfahrer und Fußgänger.
Beide Gruppen geschädigt.
Beide Gruppen haben den selben Schädiger.
Beide Gruppen mögen sich nicht.
Die Gruppe der Rollstuhlfahrer ist kleiner. Sie werden nicht gehört. Man "übersieht" sie gerne. Man fragt sie nicht, was sie brauchen.
Man entscheidet einfach für sie mit. Nicht aus dem Blickwinkel des Rollstuhlfahrers - oh nein - man nimmt den Blickwinkel des Fußgängers.
Der, der überall hin kommt.
Für den Treppen kein Problem darstellen.
Der über eine Stufe lacht.
Der sich durch enge Badezimmertüren zwängt,
der jedes Kopfsteinpflaster locker überquert,
der auf jedes Karussell steigt,
der an jedem Strand spazieren geht,
der eine Bergwanderung mitmacht,
der auf jedem Schiff rumklettern kann,
der mit seinen Kindern Fußball spielt und über die Wiese rennt,
der hocherhobenen Hauptes durch enge Gassen marschiert und den Menschen in die Augen blickt,
der locker und freudig in Zug oder Flugzeug steigt,
der auch mal rennt oder joggt, je nach Ärger oder Freude,
der jede Kneipe, jedes Restaurant und jeden Biergarten besuchen kann,
der jedes Hotelzimmer buchen kann,
Carlas Welt ist eng begrenzt.
Karls Welt ist größer und weiter.
Carla wäre dies völlig egal, wenn Karl dies sehen würde, dies akzeptieren würde und Carla tatsächlich als vollwertiges Mitglied im Ortsverband ansehen würde.
Diandra
28.06.11, 12:30:48
Ibuki
geändert von: Ibuki - 28.06.11, 12:31:27
Liebe Carla,
schade das Du an das Treffen mit den anderen Contigeschädigten eher traurige Erinnerungen hast.
Deine Erinnerung ist wie Deine Blicke von den anderen Contis gemieden werden, wie sie sogar arrogant auf Dich herabblicken und sich dort zwei Gruppen bilden, die sich gegenseitig nicht mögen. Du nennst Sie Rollstuhlfahrer und Fußgänger.
Du betrachtest einen Conti aus der Fußgängergruppe besonders kritisch. Es ist Karl, der glaubt alles zu wissen, laut herumtönt und Dich noch nicht einmal als vollwertiges Mitglied der Ortsgruppe ansieht.
Liebe Carla, sicherlich hat Dir Deine Schöpferin Diandra ausrichten lassen dass ein bisschen Karl in jedem von uns Contis steckt und so kann sich ja auch jeder von uns Contis Gedanken machen was da evtl. falsch gelaufen ist auf Eurer Sitzung.
Ich spekuliere nun einfach mal ins Blaue, sollte ich falsch liegen, denn nur Du warst von uns beiden auf der Sitzung, lasse es mich bitte wissen.
Dass sich dort zwei Gruppen bilden konnten, die sich gegenseitig nicht mögen. Wie kann das zu erklären sein? Meine Spekulation ist dazu, dass in der Ortsgruppe versäumt wurde die Teilnehmer durch Kennenlernenspiele oder gemeinsames Singen und Musizieren aufeinander einzustimmen.
Menschengruppen brauchen meiner Meinung nach ähnliches wie eine Gruppe Affen, die sich z.B. durch Belausen gegenseitig entspannen. In Eurer Gruppe, dass zeigen die Blicke der anderen, scheint man anscheinend gruppendynamisch eher ungeschickt miteinander umgegangen zu sein.
Wie bereits gesagt, dies sind nur Spekulationen, denn ich war nicht dabei. Könntest Du, Carla, aus den gemachten negativen Erfahrungen uns mitteilen, wie sich die beiden Gruppen hätten annähern können und es insbesondere Karl leichter fallen könnte weniger arrogant zu wirken?
Da ja auch ich ein bisschen Karl bin, möchte ich Dir etwas von mir zeigen und hoffe doch sehr, dass Du da nicht Arroganz heraushörst.
Höre doch mal in folgendem Link etwas Gitarrenmusik von mir.
http://www.youtube.com/watch?v=ZwxX5mCan84
Für diese Musik brauchte ich nirgendwohin reisen sondern nur viele, viele Stunden üben. Ich bin mir ganz sicher, dass ihr, Karl und Du auch interessante Hobbys habt.
Vielleicht solltet Ihr Euch bei der nächsten Sitzung über Eure Interessen und Hobbys unterhalten um der Sitzung etwas mehr Leichtigkeit zu geben.
Liebe Grüße
Ibuki