Soviel zum selbstbestimmten Leben eines Rollifahrers

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08.07.11, 15:47:41

Weissnix

geändert von: Weissnix - 08.07.11, 15:49:05

Zitat:

Das Maß ist voll.

Berlin (kobinet) Am 1. Juli 2001 trat das Sozialgesetzbuch IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen in Kraft. Nach 10 Jahre besteht eine Riesenkluft zwischen Gesetzestext und Umsetzung wie bei kaum einem anderen Gesetz in Deutschland. "Das Maß ist voll", so Andrea Schatz heute im kobinet-Interview. Die beruflich und ehrenamtlich engagierte Frau im Rollstuhl moniert, dass Reha-Leistungen und Teilhaberechte oft nur durch Widersprüche und Klagen erkämpft werden müssen.

kobinet: Dies konstatierte kürzlich auch eine Tagung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen ...

Schatz: Ebenso erschweren auch Falschauskünfte, Etikettenschwindel, Bürokratie, falsch verstandenes Sicherheitsdenken unsere Teilhabe am Leben. Behinderte Menschen müssen immer vorausschauend sein. Als Rolli-Benutzerin muss ich z. B. jeden Schritt und jede Aktion planen, oft sogar anmelden - und dies seit Jahrzehnten.

kobinet: Was ist da alles zu beachten?

Schatz: Sehr viel.
• jeden Weg (abgesenkte Bordsteinkanten? Wenn ja, im Winter geräumt?, Unebenheiten? Kopfsteinpflaster?)
• jeden Kultur- und Restaurantbesuch (Stufen? Aufzug? Rolli-WC?)
• jede Autofahrt (Parkplatz in der Nähe?)
• jeden Stadtbummel (ebenerdige Geschäfte? Geldautomat im Sitzen zu bedienen?)
• jeden Toilettengang (öffentliches Rolli-WC?)
• jede Fahrt mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln (Niederflurbahn?)
• jede Zugfahrt (Hublift? Mobilitätsservice angemeldet?)
• jede Übernachtung (rolligerechtes Zimmer?)

kobinet: Eine umfangreiche Liste ...

Schatz: Es ist lästig und anstrengend, immer vorab überlegen und organisieren zu müssen, aber es gehört zu meinem Leben und zu dem vieler behinderter Menschen. Inakzeptabel ist, wenn trotz Vorplanung und deklarierter Barrierefreiheit oder versprochenem „Tourismus für alle“ nichts richtig funktioniert oder nur unter demütigenden Bedingungen.

kobinet: Aktuelle Beispiele?

Schatz: Aus dem prallen Leben gegriffen, hier eine kleine Auswahl meiner Erlebnisse und Erfahrungen der letzen Monate:

• Kino - Variante 1: Das Gebäude ist zugänglich. Aber im Saal kommst du nur bis zur 1. Reihe. Wer setzt sich dort freiwillig hin? (O-Ton: "Da hätten Sie sich vorher erkundigen müssen, in welchem Saal der Film spielt.")

• Kino - Variante 2: Das große Multiplexkino hat einen Aufzug. Aber der fährt nur mit Schlüssel. (O-Ton: "Sonst würden ihn Unberechtigte nutzen.") Der Mensch, der den Schlüssel hat, wird ausgerufen. Als er endlich kommt, hat der Film begonnen. Der Schlüsselmensch aktiviert den Aufzug für die entsprechende Kinosaal-Etage. Du möchtest aber vorher noch auf Toilette. Das Rolli-WC ist jedoch auf einer anderen Etage als der Kinosaal. Der Schlüsselmensch muss wieder gerufen werden. Inzwischen hast du 30 Minuten deines Films verpasst.

• Toilette - Variante 1: In der Fußgängerzone gibts ein öffentliches Rolli-WC. Aber dein Euro-Schlüssel passt nicht, denn das WC ist nicht mit dem Euro-Schließsystem ausgestattet. Dafür hängt ein Schild an der Tür: "Den Schlüssel holen Sie sich bitte bei der Touristeninformation" (oder bei der Gaststätte XY …) Wenn du Glück hast, ist die Touristinformation geöffnet, oder die Gaststätte XY. Du hast noch mal Glück, wenn sich auch der Schlüssel findet. Und richtig Glück hast du, wenn du dir bis dahin nicht in die Hosen gemacht hast. (O-Ton: "Euro-Schließsystem? Kennen wir nicht. Wir haben hier unser eigenes System.")

• Toilette - Variante 2: Die Gaststätte hat ein Rolli-WC. Aber wenn du rein willst, ist sie vollgestellt mit Sonnenschirmen, Gartenstühlen, Heizlüftern... (O-Ton: "Sorry, aber wir wussten nicht wohin damit.").

• Bahnfahrt - Variante 1: Du hast bei der DB Mobilitätsdienst und Hublift für einen Zug angemeldet. Dein Termin ist eher zu Ende, so dass du mit einem Zug früher fahren möchtest, wofür du nun den Hublift brauchst. Aber das wird dir verwehrt. (O-Ton: "Das geht versicherungsrechtlich nicht. Sie müssen den Zug nehmen, für den Sie den Hublift angemeldet haben.")

• Bahnfahrt - Variante 2: Dein Zug geht früh um 5:30 Uhr. Aber als du Mobilitätsdienst und Hublift bestellen willst, wird es abgelehnt. (O-Ton: "Um diese Zeit ist noch kein Servicepersonal da. Sie müssen später fahren.") Dies nicht etwa in Kleinkleckersdorf, sondern in einer Landeshauptstadt.
Abends das gleiche Spiel. Nach 23 Uhr kommst du mangels Personal auch in der Hauptstadt Deutschlands nicht aus dem Zug.

• Bahnfahrt - Variante 3: Mobilitätsdienst, Hublift, alles hat geklappt und du sitzt glücklich im Zug. Aber du stellst fest, es gibt kein Rolli-WC. (O-Ton: "Leider wurde vergessen, den Wagen anzuhängen.")

• Ein Badeort wirbt mit einem Strandrollstuhl, mit dem Rollis ins Wasser kommen. In fröhlicher Erwartung fährst du hin, obwohl der Strand weit entfernt ist. Der Strandrolli ist da, aber er ist eingeschlossen. Niemand weiß, wo der Schlüssel ist oder wer ihn haben könnte. (O-Ton: "Das tut mir leid, kommen Sie doch morgen wieder.“)

• Im Fahrplan ist eine Niederflurbahn ausgewiesen. Aber es kommt eine hohe Straßenbahn mit Stufen. (O-Ton: "Wird schon noch eine kommen.“)

• Die Wege und Fußgängerbereiche einer Innenstadt sind neu gestaltet. Aber es wurde Kopfsteinpflaster verlegt. (O-Ton: "Das ist denkmalsgerechte Sanierung.")

• Ein Rolliparkplatz ist vorhanden. Aber er ist widerrechtlich besetzt – und zwar mehrfach durch die Polizei, das LKA höchstselbst. (Leider kein O-Ton, weil ich niemanden erwischte.)

• Du hast ein "rollstuhlgerecht" deklariertes (und damit teures) Hotelzimmer gebucht. Aber du kommst nicht auf die Terrasse/den Balkon (Schwelle) oder kannst nicht duschen (keine Griffe) oder musst beim Kacken die Tür auflassen (zu eng)

kobinet: Diese Liste könnte endlos weiter geführt werden ...

Schatz: Viele von uns haben ähnliche Situationen hunderte Male erlebt. Und mit jedem Mal werden die Nerven dünner, reagiere ich verzweifelt oder wütend. Niemand muss und sollte sich diese entwürdigenden Zustände bieten lassen. Und erst recht nicht wir, die wir als Betroffene Gleichstellungsgesetze und Verordnungen zur Barrierefreiheit durchgesetzt haben. Trotzdem müssen wir weiter kämpfen, denn sonst wird sich nichts ändern. (Das Gespräch führte Franz Schmahl) sch

Quelle

Sehr interessant sind auch die Leserbriefe dazu, die ganz offen darlegen, daß der Boykott des selbstbestimmten Lebens sich nicht nur auf Rollinutzer beschränkt.
08.07.11, 17:33:28

lia

kino erste reihe finde ich gut, ganz besonders gut für meinen hals! seitdem er geblockt wurde brauche ich immer eine kinohochzieh begleitung, denn in der ersten reihe sitzen brauche ich nicht!!!!
die angestellten helfen nicht mehr seitdem ein rollidepp den kinobesitzer mal verklagt hatte, nachdem dieser ihn hochgezogen hatte ....wegen brandschutz. der kinobesitzer ist nett , aber traumatisiert!
lg lia
09.07.11, 11:25:23

Diandra

Kriminell oder nur Schwerbehindert ??

Mir reicht es auch !! Als Rollstuhlfahrerin wird einem das Leben in der Bundesrepublik erst recht schwer gemacht. Man kann auch nicht mehr davon sprechen, dass die Hilfsmittel, die man uns zur Verfügung stellt, optimal und individuell auf uns abgestimmt sind. Hier gibt es auch nur noch Pauschalen.
Sitz oder verrecke ist die Devise.

Ich hasse die Antragsflut, die täglich im Briefkasten landet. Ich hasse die abschlägigen Bescheide. Will man mich beschäftigen ? Oder bin ich eine Kriminelle, die den Staat betrügen will ? Wieso muss ich Hilfsmittel einklagen ? Was ist das für ein Staat geworden. Und dann gibt es die Diskussion über Präimplantationsdiagnostik (PID). Aus meiner Sicht als Rollstuhlfahrerin in der Bundesrepublik Deutschland ein klares JA dazu. Denn der Staat verfährt mit uns so, als wäre unser Leben nichts wert, als wären wir ein wertloser kostenintensiver Mensch, den man nicht fördern, sondern - wie früher - irgendwo dahinvegetieren lässt. Inklusion - lachhaft - !!! Sie erfinden immer neue schöne Worte - im Endeffekt machen sie uns aber fertig. Da hängt das Schäuble-Männlein in seinem Rollstuhl rum und kriegt als OPFER und MITGLIED des Bundesstaates alles was das Herz begehrt. Er ist versorgt. Sie alle dort wissen und sehen, welche Hilfen er braucht. Trotzdem tun sie so, als wäre all dies beim "normalen" Bürger nicht notwendig. Deutschland macht einen gewaltigen Schritt zurück bei der Förderung seiner Schwerbehinderten. Deutschland und seine Regeln und Gesetzte VERHINDERN Hilfe und Unterstützung. Mal sehen, wann sie ihr neuestes Gesetz rauskramen und anordnen, indem Eltern, die sich bewusst dafür entscheiden, dass behinderte Kind auszutragen, verpflichtet werden, alle notwendigen Untersuchungen und Hilfsmittel selber zu tragen. Nur wer reich ist, darf sich diesen "Luxus" dann gönnen. Der Rest wird legal zur "Abtreibung" gezwungen. Und welches Luxusweibchen möchte sich mit einem behinderten Kind zeigen ? Adieu ihr lieben Unvollkommenen - das dritte Reich wird wieder auferstehen - Deutschland möchte wieder eine elitäre gesunde Gesellschaft vorzeigen.

Diandra
09.07.11, 12:09:31

lia

Zitat von Diandra:
Deutschland möchte wieder eine elitäre gesunde Gesellschaft vorzeigen.

Diandra

nana das klappt nicht! dazu laufen vielzuviele gehirnlose auf den straßen herum, gestern wurde mein sohn von nazis angegriffen, er konnte flüchten. rollifahrer sind nicht die größten behindis und contis auch nicht, lg lia
09.07.11, 12:14:03

Zavi

Zitat von lia:
Zitat von Diandra:
Deutschland möchte wieder eine elitäre gesunde Gesellschaft vorzeigen.

Diandra

nana das klappt nicht! dazu laufen vielzuviele gehirnlose auf den straßen herum, gestern wurde mein sohn von nazis angegriffen, er konnte flüchten. rollifahrer sind nicht die größten behindis und contis auch nicht, lg lia


In C*** gibt es Nazis? Naja, Behindert sind die nicht, die sind ohne Gehirn!
09.07.11, 12:31:28

lia

nazis gibt es überal, und mein sohn hat einen 2. wohnsitz und das ist eine großstadt!
wieso ist lernbehinderung keine behinderung, einige dieser typen fallen darunter, aber ist off in diesem thread.lg lia
09.07.11, 13:13:54

Weissnix

geändert von: Weissnix - 09.07.11, 13:26:19

Zitat von Diandra:
Und dann gibt es die Diskussion über Präimplantationsdiagnostik (PID). Aus meiner Sicht als Rollstuhlfahrerin in der Bundesrepublik Deutschland ein klares JA dazu.


Angesichts der Erlaubnis zur Abtreibung, auch aus niederen Beweggründen (passt gerade nicht in die Lebensplanung) oder gar der Spätabtreibung bei schwerstbehinderten Kindern, hätte die Diskussion über die PID gar nicht erst stattfinden dürfen.

Wie schrieb Zavi einst so passend (glaube ich jedenfalls, die Forensuche lässt mich gerade mal wieder im Stich)? Sicher bis zum Mutterleib.
Wie bigott will sich diese Regierung eigentlich noch zeigen?

Ergänzung:
Jetzt habe ich Zavis Satz doch noch gefunden.
Zitat von Zavi:
... ich habe den Parteitag auch in Teilen mir angehört, bei PID habe ich mit dem Kopf geschüttelt. Soll heißen, sobald das Kind im Bauch ist, ist es nicht mehr Sicher!?
10.07.11, 11:34:08

Diandra

geändert von: Diandra - 10.07.11, 11:34:42

Zitat von lia:
Zitat von Diandra:
Deutschland möchte wieder eine elitäre gesunde Gesellschaft vorzeigen.

Diandra

nana das klappt nicht! dazu laufen vielzuviele gehirnlose auf den straßen herum, gestern wurde mein sohn von nazis angegriffen, er konnte flüchten. rollifahrer sind nicht die größten behindis und contis auch nicht, lg lia



Hirnlos wird in dieser Gesellschaft eher tolleriert als wie "nur" behindert. Die braune Suppe kriegen sie nicht in den Griff und wundern sich gleichzeitig, wenn junge Leute nach "Idealen" suchen, sie aber nirgends finden und sich schließlich dorthin orientieren.
Viel besser als das braune Pack ist die Regierung eben auch nicht - sie versucht es nur stilvoller und pappt das Offensichtliche mit Regeln, Gesetzen und Vorschriften zu.

Grüßle
Diandra
10.07.11, 11:57:09

lia

ich würrde das nicht gleichsetzen wollen, immerhin benutzt die regierung keinen schlagstock und verfolgt auch nicht und wenn die regierung etwas msacht dann mit kalkül, nicht unbedingt die stärke dieser jungs, duie werden enfach nur losgeschickt auf ihre opfer, fühlten sich ertappt beim mist kleben auf einer straßenlaterne, gut das der freund meines sohnes nicht dabei war, er ist türkischer herkunft und hat einen sehr sichtbarer genfehler, wer weiß wie das ausgegangen wäre,dann lieber behindert und was in der birne, lg lia
10.07.11, 12:41:28

Diandra

Zitat von lia:
ich würrde das nicht gleichsetzen wollen, immerhin benutzt die regierung keinen schlagstock und verfolgt auch nicht und wenn die regierung etwas msacht dann mit kalkül, nicht unbedingt die stärke dieser jungs, duie werden enfach nur losgeschickt auf ihre opfer, fühlten sich ertappt beim mist kleben auf einer straßenlaterne, gut das der freund meines sohnes nicht dabei war, er ist türkischer herkunft und hat einen sehr sichtbarer genfehler, wer weiß wie das ausgegangen wäre,dann lieber behindert und was in der birne, lg lia


Hallo Lia,

ich vergleiche es deswegen miteinander, weil sie sich nicht in der Lage sehen, ein großes STOP für diese Versammlungen und Demos zu geben. Damit könnte einiges zerschlagen werden, was sich da immer wieder bildet. Sie denken, sie können es so besser im Griff behalten und das Gegenteil ist wohl eher der Fall.

Bin froh, dass Deinem Sohnemann nichts passiert ist. Unglaublich, was heutzutage in der Richtung immer noch so alles passiert.

Grüßle
Diandra
 
 
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