Liebe Mum, lieber Dad ...

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12.09.11, 10:24:58

Diandra

Vor 50 Jahren habt ihr geheiratet. Euer Wunschkind war auf dem Weg. Wie es öfters vorkommt hattest Du liebe Mum am Anfang der Schwangerschaft leichte Blutungen. Du kamst ins Krankenhaus, solltest Dich schonen und zur Ruhe kommen. Du bekamst eine Dosis Contergan verabreicht, damit Deine Schwangerschaft nicht gefährdet ist. Du wurdest wieder entlassen, weil "alles in Ordnung" ist.

7 Monate später kam ich - das Wunschkind - auf die Welt. Kurzes Entsetzen in den Augen der Ärzte. Ich wurde in ein Handtuch eingewickelt und kurz meiner Mutter gezeigt. Dann hat man mich mitgenommen.

Zuerst hat man es meinem Vater gesagt. Damals wurde man noch so gewickelt und in ein Tuch gepackt, dass meine Mutter mich im Arm hatte ohne zu bemerken, dass mir die Beine fehlten. Kurz vor dem Entlassungstag kam ein rigeroser Arzt zu meinen Eltern, hielt ihnen ein Papier hin mit den Worten: Sie brauchen nur zu unterschreiben, dann sind sie das Kind los.

Meine Eltern waren empört und haben mich mitgenommen. Der Arzt war sprachlos und bat darum, in ein paar Monaten doch bitte einfach mal kurz mit mir vorbeizukommen. Er wollte wissen, wie ich mich entwickeln würde und bewunderte den Mut meiner Eltern.

Liebe Mum, lieber Dad. Ihr habt mich liebevoll und energisch aufgezogen. Ihr habt mir gezeigt wie ich mich behaupten kann. Ihr habt mir beigebracht selbstständig zu leben. Ihr habt mir vieles zugetraut, ihr habt mich vor bösen Blicken und bösen Worten beschützt. Ein behindertes Kind in den 60er Jahren aufzuziehen war Spießrutenlaufen. Es war ein Kampf gegen Behörden. Und niemand hat Euch beigestanden.

Ende 1960 kam ich als Kleinkind nach Münster ins Krankenhaus. Wurde operiert und kam in ein Gipsbett. Ein Fuß wurde gedreht, damit ich später eine Prothese tragen kann. Monatelang im Krankenhaus.

In den 70er Jahren dann kam ich nach Süchteln.
9 Monate Krankenhausaufenthalt für Miniprothesen.
9 Monate Samstags im Bett bleiben, damit der Rollstuhl keine Spuren in den Fluren hinterlässt, weil Sonntags Besuchszeit war.
9 Monate der Drill Käsebrote und Leber essen zu müssen.
9 Monate Päckchen bekommen, wo ich mir 1 Teil für mich raussuchen durfte, der Rest wurde verteilt.
9 Monate nur Sonntags die Eltern sehen dürfen.

Dann der Supergau - Sonntagabend Bauchweh - ach das Kind hat wieder zuviel Kuchen gegessen. Fieber bekommen und irgendwann wurde festgestellt - Blinddarmentzündung. Mit dem Krankenwagen und Blaulicht in eine andere Klinik gekommen. Not-OP - grad noch mal gut gegangen. Unschöne große Narbe, weil der Blinddarm etwas verlagert saß.
Meine Eltern waren sich einig - kein zurück mehr in die Klinik nach Süchteln, welche ernsthafte Erkrankungen wohl nicht erkennen. Aufenthalt in Süchteln abgebrochen. Zur Strafe für den Abbruch des Klinikaufenthaltes mussten meine Eltern die prothetische Versorgung und den Aufenthalt bezahlen. Adieu Abfindung von 10.000 DM.

4 Geschwister habe ich gehabt. 2 Geschwister sind mit mir erwachsen geworden. 1 Bruder ist den plötzlichen Säuglingstod gestorben und 1 Bruder ist mit 16 Jahren mitten in einer Großstadt spurlos verschwunden. Bis heute wissen meine Eltern nicht, was damals geschah.

Schicksalsschläge ... einer nach dem anderen. Sie sind nicht dran zerbrochen, aber es hat ihre Spuren hinterlassen.

In den 90er Jahren hat mein Vater die Altersteilzeit in Anspruch genommen. Er wollte noch 2 Jahre arbeiten gehen und dann in Rente. Leider war ihm das nicht mehr vergönnt. Mit 58 Jahren erlag er einem Herzschlag.

Nun stand meine Mutter allein da. Ohne Partner, ohne Mann. Sie waren wie siamesische Zwillinge gewesen. Niemals hat einer etwas ohne den anderen gemacht. Nicht mal in Kur wollten sie fahren, da der andere nicht mit durfte.
Ich erinnere mich noch daran, dass sie sich einmal fürchterlich gestritten hatten. Muttern stand dann trotzig und mit roten Augen am Herd. Sie sprach kein Wort. Dann kam mein Vater um die Ecke, lächelte verschmitzt, hielt ihr die Hand hin und sagte: Sollen wir uns wieder vertragen ? Muttern musste lachen. Und so waren sie - nie ernsthaft zerstritten - immer eine Einheit.

Jetzt braucht Muttern Hilfe. Kleine Rente, Krebserkrankung mit Metastasenbildung. Ich möchte sie noch nicht gehen lassen. Ich brauche sie.
Ich möchte ihr helfen. Ich möchte ihr noch ein paar schöne Monate bereiten.
Aber das einzige, was ich bieten kann, ist, dass ich da bin. Ich kann ihr nicht die Freude bereiten und mit ihr in Urlaub fahren.
Es reicht nicht mal für verlängerte Wochenenden.
Ich kann sie nicht öfters zum Essen einladen.
Ich kann ihr nicht die Ruhe geben, die sie braucht um mit ihren Kräften zu haushalten.
Ich kann ihr nicht hin und wieder einen Bummel- und Shoppingtag bieten.
Ich würde sie gern finanziell unterstützen.

Ich möchte ihr etwas davon zurückgeben, was sie mir all die Jahre gegeben hat. Auch die Ruhe, dass wir Contergangeschädigten endlich zu unserem Recht kommen. Sie hat all die Jahre dafür gekämpft, dass ich ein normales Leben leben kann. Sie hat sich aufgeopfert, sie hat sich nie mutlos gezeigt oder unterkriegen lassen.

Und jetzt als Rentnerin wird sie als Mensch zweiter Klasse abgestuft. Nutzlos und dann auch noch krank. Ein Kostenfaktor für den Staat.

Wann gibt man uns die Chance, endlich sorgenfrei leben zu dürfen ?

Haben unsere Eltern diese Arroganz, diese Hinhaltetaktik und Ignoranz verdient ? Sie haben ihr Bestes getan.

Es tut mir im Herzen weh, sie leiden und trotzdem kämpfen zu sehen.
Es tut mir im Herzen weh, mitzuerleben, wie sie als 2.Klasse-Patientin behandelt wird.
Es tut mir im Herzen weh, nicht die Mittel zu haben, um ihr die letzten Monate ihres Lebens schön, spannend und sorgenfrei zu gestalten.

Sie haben es verdient. Sie haben übermenschliches geleistet.

Danke Mum, danke Dad, dass ihr immer für mich da wart.

Ich habe Euch lieb.

Diandra
12.09.11, 11:36:14

Barbara

Nein das haben unsere Eltern nicht verdient, auch meine Eltern haben alles für mich getan. Schöner Brief Diandra.

Barbara
12.09.11, 11:57:18

Weissnix

Schon zur ersten Anhörung hatte ich gefordert (Der Chef vom Hicoha hat es dankenswerter Weise dann auch vorgetragen), daß die auf die Renten der Eltern anrechenbaren Jahre für Conti-Eltern deutlich erhöht werden müssten. Da unsere Eltern statt der üblichen 5 Jahren 18 und teilweise deutlich mehr Jahre nachhaltig an einer beruflichen Tätigkeit gehindert wurden, weil unsere Betreuung ihre ganze Zeit beanspruchte.

Aber auch dieser Ruf verhallte ungehört und hat sich dank biologischer Lösung bald auch völlig erledigt.
Hurra wieder ein Erfolg ... fragt sich nur für wen
12.09.11, 12:37:58

Zavi

geändert von: Zavi - 12.09.11, 14:05:00

Edit war hier ...XXXXXXXXXXXXXXXXX
12.09.11, 13:02:00

Weissnix

Zitat von Zavi:
Für mich gab es eine Mama und einen Papa, seinerzeit konnte ich noch kein Denglisch! Bei Mum und Dad habe ich aufgehört zu lesen!


Dann ist dir einiges entgangen. Vieles von dem was Diandra schrieb, dürftest du nämlich auch so erlebt haben bzw. immer noch erleben.

Übrigens: Heute sprichst du ziemlich gut Denglisch, also hindert dich nichts, dir den Rest auch noch zu Gemüte zu führen.
12.09.11, 13:02:33

lia

Zitat von Zavi:
Für mich gab es eine Mama und einen Papa, seinerzeit konnte ich noch kein Denglisch! Bei Mum und Dad habe ich aufgehört zu lesen!

ist nicht schlimm dass du aufgehört hast zu lesen, jeder wie ers mag! trotzdem fangen wir hier keine denglish diskusion an, lg lia
12.09.11, 13:14:35

Mahomi

Liebe Diandra,
auch ich war im ersten Moment von der Anrede deines Briefes verwirrt.
Man muss sich einfach klar machen, dass die Namen, die Kinder für ihre Eltern verwenden, normalerweise nicht von den Kindern ausgesucht werden.
Meine Eltern heißen Mami und Papi, meine Schwiegereltern Mutter und Vater (auch bei Michael) und deine Eltern eben Mum und Dad.
Diandra, ich finde deinen Brief sehr schön und anrührend!
12.09.11, 14:02:31

Zavi

Zitat von Mahomi:
Liebe Diandra,
auch ich war im ersten Moment von der Anrede deines Briefes verwirrt.
Man muss sich einfach klar machen, dass die Namen, die Kinder für ihre Eltern verwenden, normalerweise nicht von den Kindern ausgesucht werden.
Meine Eltern heißen Mami und Papi, meine Schwiegereltern Mutter und Vater (auch bei Michael) und deine Eltern eben Mum und Dad.
Diandra, ich finde deinen Brief sehr schön und anrührend!


Ich finde den Brief traurig, ich habe ihn jetzt gelesen, der Brief macht verständlich das Diandra oft Wütend ist und Diandra in Teilen um sich schlägt.
Mir stellt sich die Frage wie kann man helfen und das meine ich ehrlich!
12.09.11, 14:15:40

lia

geändert von: lia - 12.09.11, 14:16:07

Zitat von Zavi:
Zitat von Mahomi:
Liebe Diandra,
auch ich war im ersten Moment von der Anrede deines Briefes verwirrt.
Man muss sich einfach klar machen, dass die Namen, die Kinder für ihre Eltern verwenden, normalerweise nicht von den Kindern ausgesucht werden.
Meine Eltern heißen Mami und Papi, meine Schwiegereltern Mutter und Vater (auch bei Michael) und deine Eltern eben Mum und Dad.
Diandra, ich finde deinen Brief sehr schön und anrührend!


Ich finde den Brief traurig, ich habe ihn jetzt gelesen, der Brief macht verständlich das Diandra oft Wütend ist und Diandra in Teilen um sich schlägt.
Mir stellt sich die Frage wie kann man helfen und das meine ich ehrlich!

ja klar jetzt kommt wieder die nummer mit der "krankheit" oder "psycho", lg :(
12.09.11, 14:24:11

Zavi

Zitat von lia:
Zitat von Zavi:
Zitat von Mahomi:
Liebe Diandra,
auch ich war im ersten Moment von der Anrede deines Briefes verwirrt.
Man muss sich einfach klar machen, dass die Namen, die Kinder für ihre Eltern verwenden, normalerweise nicht von den Kindern ausgesucht werden.
Meine Eltern heißen Mami und Papi, meine Schwiegereltern Mutter und Vater (auch bei Michael) und deine Eltern eben Mum und Dad.
Diandra, ich finde deinen Brief sehr schön und anrührend!


Ich finde den Brief traurig, ich habe ihn jetzt gelesen, der Brief macht verständlich das Diandra oft Wütend ist und Diandra in Teilen um sich schlägt.
Mir stellt sich die Frage wie kann man helfen und das meine ich ehrlich!

ja klar jetzt kommt wieder die nummer mit der "krankheit" oder "psycho", lg :(


Nein kommt nicht!
 
 
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